Ein Nachruf
Klaus Ahlheim (1942–2020)
„Solange politische Erwachsenenbildung an dem Ziel eines autonomen Subjekts festhält, kann sie auf rationale Aufklärung nicht verzichten.“
— Klaus Ahlheim
Völlig unerwartet verstarb am 17. Juni Prof. Dr. Klaus Ahlheim in seiner Wahlheimat Berlin.
Mit seiner Familie trauern viele Freunde und Weggefährten. Klaus Ahlheim war mit Leib und Seele Professor für Erwachsenenbildung. Entgegen allen konstruktivistischen, affirmativen und modernistischen Konjunkturen hielt er an einer emanzipatorischen und an Aufklärung orientierten Bildung, vor allem der politischen Bildung fest. Der bildungspolitisch durchgesetzten Markt- und Verwertungsideologie hat er sich argumentationsstark widersetzt. Um diese Themen kreisen viele seiner zahlreichen bedeutenden Schriften; die wichtigste dürfte sein 1990 veröffentlichtes und dann mehrfach neu aufgelegtes Buch mit dem programmatischen Titel „Mut zur Erkenntnis“¹ sein.
Am 28.3.1942 wurde Klaus Ahlheim in Saarbrücken geboren, in Bensheim/Odenwald ist er dann aufgewachsen. Die Verhältnisse waren arm und „und nicht selten war Hunger angesagt“, schrieb er in seinem 2015 und 2018 erschienenen „autobiographischen Fragment“ mit dem Titel „Kriegsgeburt“2.
Ahlheim studierte Theologie, zunächst in Marburg. Dort machte er die Erfahrung, dass die NS-Zeit keine Rolle spielte und manche seiner Professoren „erzreaktionär“ waren. Hier liegt wohl ein Schlüssel für seine Abwehr gegen Nationalismus und Fundamentalismus. Sein Studium setzte Ahlheim in Berlin und Mainz fort. Dort war er dabei, als der örtliche SDS gegründet wurde. Hier konkretisierte sich auch sein pädagogisches Grundverständnis, das er so beschreibt: „Solide Information, Wissen, Erkenntnis, auch wenn sie mühsam und unbequem sind, haben etwas Befreiendes, machen auch politisches Handeln erst möglich, ohne sie ist Pädagogik Zurichtung und Indoktrination.“
1972 promovierte Ahlheim in München mit einer Arbeit über Max Webers Religionssoziologie. 1971 wurde er Vikar in Ingelheim am Rhein. Ein Jahr später, 1972, ging er als Studentenpfarrer nach Frankfurt, das blieb er bis 1981. Diese Zeit war für ihn, wie er schreibt, „eine Befreiung“. Denn es folgte eine höchst engagierte Phase: Ahlheim öffnete seine Arbeit für kritische Positionen und Vertreter der nachwirkenden Studentenunruhe.
1981 schließlich habilitierte er sich in Frankfurt mit einem Thema zur Arbeiterbildung in der protestantischen Erwachsenenbildung. Im folgenden Jahr wurde er auf eine Professur für „Erwachsenenbildung und Außerschulische Jugendbildung“ in Marburg berufen. Hier wandte er sich auch der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit zu. Für Wirbel sorgte er, als er die NS-konforme und antisemitische Vergangenheit des renommierten Sozialethikers Dietrich von Oppen aufdeckte. Die Folge: „Ein Sturm der Entrüstung brach über mich herein.“
1994 bot sich „die Chance, aus Marburg wegzukommen“. Er nahm einen Ruf der Gesamthochschule Essen, später Universität Duisburg-Essen, an. Es folgten produktive Jahre: Arbeiterbildung, Vorurteilsforschung, Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und weitere Akzentuierungen einer emanzipatorischen politischen Bildung.
Ahlheim war eines der 14 Gründungsmitglieder der GPJE. Schon bei dieser Zusammenkunft am 14. und 15. Oktober 1999 im Schloss Rauschholzhausen, einer Dependance der Universität Gießen, wurde deutlich, wie vehement er die Interessen der Erwachsenenbildung gegenüber den zahlenmäßig weit überlegenen schulisch orientierten Politikdidaktikerinnen und Politikdidaktikern vertreten konnte. In einer langen und kontroversen Debatte um die Bezeichnung dieser neuen wissenschaftlichen Fachgesellschaft sorgte er mit dafür, dass das „E“ in dem dann gefundenen Namen GPJE enthalten ist.
In den ersten Tagungen der GPJE war Ahlheim mit Vorträgen und kritischen Diskussionsbeiträgen vertreten – nicht immer zur Freude aller Kolleginnen und Kollegen aus der Politikdidaktik. Was ihn dabei umtrieb, ist nachzulesen in seinem Vortrag, den er am 3. Juni 2000 in Bergisch Gladbach auf der Jahrestagung der GPJE gehalten hatte. Dabei ging es ihm, an das Tagungsthema angelehnt, um „Bilanz und Perspektiven politischer Erwachsenenbildung“³. Dezidiert wandte er sich gegen „Konstruktivismus und Entpolitisierung der politischen Bildung“, für die Erwachsenenbildung hielt er den Beutelsbacher Konsens für „fragwürdig“. Das Prinzip der Konfliktorientierung war für ihn „jedem Wende-Zeitgeist zum Trotz, unaufgebbar, ja […] noch nötiger denn je“.
Die GPJE entwickelte sich jedoch nicht in die von Ahlheim vertretene Richtung eines gesellschaftskritischen und politisierten Faches. Viele außerschulischer politische Bildnerinnen und Bildner zogen sich zurück und die schulische politische Bildung stand bald im Zentrum der Jahrestagungen, an denen Klaus Ahlheim dann leider nicht mehr teilnahm.
Am Ende seines beruflichen Lebens zog er Bilanz: Das „betriebswirtschaftliche Neusprech“ hatte in der Weiterbildung Einzug gehalten – für ihn eine Form des „gehobenen Nonsens“. Die Universität wurde für ihn zu einer „modernen Berufszurichtungsanstalt“.
Der neue Wohnort Berlin passte genau für sein lebendiges Interesse an sozialen, politischen und kulturellen Entwicklungen. Es waren aktive Jahre: Eine Reihe von Schriften, die sich kritisch mit dem Zustand der politischen Bildung, dem Rechtsextremismus und Ethnozentrismus beschäftigen, belegen das.
Seine Grundsätze hat Klaus Ahlheim immer deutlich vertreten. Der Titel eines Sammelbandes einiger seiner Vorträge und Aufsätze fasst die Prinzipien seiner Bildungsarbeit zusammen: „Kritik, Aufklärung, politische Intervention“⁴. Dafür hat er stets Position bezogen und keinen Streit gescheut. Eine kantige, kraftvolle und konflikterprobte Person wie er tat der Landschaft gut. Sein Tod hinterlässt eine nicht zu schließende Lücke.
Klaus-Peter Hufer
¹ Klaus Ahlheim: Mut zur Erkenntnis. Über das Subjekt politischer Erwachsenenbildung, Bad Heilbrunn/Obb. 1990.
² Klaus Ahlheim: Kriegsgeburt. Ein autobiografisches Fragment, zweite, erweiterte Auflage, Hannover 2018.
³ Klaus Ahlheim: Bilanz und Perspektiven politischer Erwachsenenbildung, in: GPJE (Hrsg.): Politische Bildung als Wissenschaft, Band 1 der Schriftenreihe der Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung, Schwalbach/Ts. 2002, S. 54–67.
⁴ Klaus Ahlheim: Kritik, Aufklärung, politische Intervention. Gesammelte Aufsätze zur Erwachsenenbildung, Ulm 2016.